Viele Beschäftigte im Werkzeuggeschäft von Bosch blicken nervös auf den Kalender. Denn der Herbst bringt Entscheidungen mit Folgen für Existenzen.
Was sich in Leinfelden-Echterdingen und in Sebnitz abzeichnet, betrifft nicht nur Werke und Linien. Es betrifft Familienbudgets, Lebensläufe und Zukunftspläne. Die Führung verlagert Produktion, der Standort Leinfelden soll bis Ende 2026 schließen. Wer bleibt, sieht sich einem engen Entscheidungsfenster gegenüber.
Was Bosch in Leinfelden plant
Der Bereich Power Tools baut die Gerätefertigung am Stammsitz schrittweise ab. Der Konzern hat das Auslaufen der Produktion bestätigt. Die Schließung des Werks in Leinfelden-Echterdingen ist für Ende 2026 terminiert. Auch der Standort Sebnitz steht vor dem Aus. Insgesamt trifft die Neuordnung rund 500 Stellen in der Sparte.
Für die Auto-Sparte läuft parallel ein größerer Umbau mit 13.000 geplanten Stellenstreichungen. Dort gilt bis Ende 2027 ein Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. Im Werkzeuggeschäft greift diese Absicherung nicht. Das spüren vor allem die rund 230 Beschäftigten in der Fertigung am Stammsitz.
Die Botschaft an die Belegschaft lautet: Abfindung unterschreiben oder mit schlechteren Konditionen bis 31. Dezember 2026 gekündigt werden.
Abfindung, fristen, deckel: was auf dem tisch liegt
Die Geschäftsleitung will Mitte November ein Abfindungsangebot unterbreiten. Danach läuft eine Bedenkzeit von vier Wochen. Wer bis zum Ablauf nicht zeichnet, riskiert eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Jahresende 2026 – mit geringerem Ausgleich.
Die Höhe der Abfindung hängt vom Alter, vom Einkommen und von der Betriebszugehörigkeit ab. Der Betrag ist gedeckelt. Er erreicht maximal 250.000 euro. Wer schnell unterschreibt, kann einen zusätzlichen Bonus erhalten. Der Sozialplan sieht außerdem die Option vor, in eine Transfergesellschaft zu wechseln.
Die frist läuft vier wochen nach angebot ab, die abfindung ist auf 250.000 euro begrenzt.
Was eine transfergesellschaft tatsächlich leistet
Eine Transfergesellschaft übernimmt Beschäftigte für eine begrenzte Zeit. Sie zahlt in der Regel ein reduziertes Entgelt, finanziert Qualifizierungen und begleitet Bewerbungen. Ziel ist ein schneller Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis. Die Zeit in der Transfergesellschaft gilt nicht als Arbeitslosigkeit. Sie kann Lücken im Lebenslauf vermeiden und Weiterbildung bündeln.
Sozialauswahl: warum sie hier kaum greift
Bei Betriebsänderungen prüft der Arbeitgeber normalerweise eine Sozialauswahl. Besonders schutzbedürftige Gruppen würden zuletzt gekündigt. Bei einer vollständigen Standortschließung entfällt diese Auswahl weitgehend. Wenn alle Stellen wegfallen, kann der Arbeitgeber rechtlich allen kündigen. Genau das verschärft den Druck in Leinfelden.
Die lage in zahlen
| geplanter angebotstermin | mitte november 2025 |
| bedenkzeit | 4 wochen |
| kündigungsdatum bei nichtannahme | 31. dezember 2026 |
| deckel abfindung | 250.000 euro |
| betroffene in leinfelden (fertigung) | ca. 230 personen |
| gesamte betroffene power tools | rund 500 stellen |
| mitarbeiter power tools (2024) | 18.700 |
| umsatz power tools (2024) | 5,1 milliarden euro |
Was das für beschäftigte praktisch bedeutet
Der Spielraum ist klein. Die Wahl beschränkt sich auf einen Aufhebungsvertrag mit Abfindung plus möglicher Transfergesellschaft oder auf die Kündigung zu einem späteren Datum mit abgespeckten Leistungen. Bei einer Kündigung entfällt häufig ein Teil des Pakets. Wer unterschreibt, erhält das volle Paket, verzichtet aber auf Bestandschutz.
Im auto-geschäft gilt ein kündigungsmoratorium bis 2027, im werkzeuggeschäft nicht.
Viele rechnen gerade. Typische Firmenformeln setzen zum Beispiel 0,5 bis 1,0 Bruttomonatsgehälter je Beschäftigungsjahr an. Die tatsächliche Berechnung variiert jedoch. Der individuelle Betrag hängt von den vertraglichen Details im Angebot ab und darf den Deckel nicht überschreiten.
Rechtliche und finanzielle fallstricke
- Arbeitsagentur: Ein Aufhebungsvertrag kann zu einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld führen, wenn er die gesetzliche Kündigungsfrist unterschreitet oder kein betrieblicher Grund vorliegt.
- Steuern: Abfindungen gelten als außerordentliche Einkünfte. Die fünftelregelung kann die Progression glätten, greift aber nur bei Einmalzahlung und weiteren Voraussetzungen.
- Krankenversicherung: Der Wechsel in die Transfergesellschaft oder in die Arbeitslosigkeit verändert Beiträge und Zuständigkeiten.
- Rente: Längere Übergänge ohne Beiträge können Rentenpunkte mindern. Abfindungen erhöhen sie nicht automatisch.
- Fristen: Die vier Wochen Bedenkzeit laufen ab Angebot. Das Kalenderblatt entscheidet über Boni.
Sebnitz: folgen für sachsen
Auch Sebnitz verliert die Produktion. Die Region sieht sich damit einer Lücke im industriellen Gefüge gegenüber. Beschäftigte mit Montage-, Kunststoff- und Verpackungserfahrung gelten zwar als gefragt. Die Verfügbarkeit geeigneter Stellen entscheidet aber über die Dauer der Übergänge. Qualifizierung in der Transfergesellschaft kann hier den Unterschied machen, etwa beim Umstieg in Elektronikfertigung, Instandhaltung oder Qualitätsmanagement.
So lassen sich angebote nüchtern prüfen
Wer ein Angebot erhält, sollte systematisch rechnen. Drei Bausteine zählen: Netto-Abfindung, Zeitraum bis zum neuen Job, Risiko von Sperrzeiten. Der Vergleich mit einer späteren Kündigung zeigt, ob sich ein früher Abschluss lohnt.
Eine beispielrechnung zur orientierung
Angenommen, eine beschäftigte person ist 52 jahre alt, verdient 4.000 euro brutto im monat und arbeitet seit 18 jahren im unternehmen. Nimmt man eine Faustformel von 0,75 Monatsgehältern pro Jahr, ergäbe das 0,75 × 18 × 4.000 = 54.000 euro. Ein schneller unterschriftsbonus könnte die Summe erhöhen. Die echte Zahl folgt jedoch dem internen Schema und darf den deckel nicht überschreiten.
Wichtig bleibt der Blick auf den zeitwert: Wenn eine neue Stelle in sechs Monaten realistisch ist, kann eine geringere Abfindung mit kürzerer Arbeitslosigkeit vorteilhaft sein. Zieht sich die Suche, gewinnt ein höherer Brückenbetrag an Gewicht.
Arbeitsmarkt, alternativen, chancen
Die Region Stuttgart meldet weiterhin Bedarf in Produktion, Logistik und Qualitätssicherung. Zulieferer, Maschinenbauer und Elektrotechnik suchen Fachkräfte. Kurzschulungen in SPS-Grundlagen, Messmittelkunde oder Lean-Methoden verbessern Profile in wenigen Wochen. Wer mobil ist, erweitert den Radius auf den Großraum Neckar-Alb und Karlsruhe. In Sachsen locken Dresden und die Halbleiterbranche mit Einstiegen in Fertigungsnahe Dienste.
Checkliste für die nächsten vier wochen
- Unterlagen sammeln: Arbeitsvertrag, Gehaltsabrechnungen, Nachweise zur Betriebszugehörigkeit, Urlaubs- und Zeitkonten.
- Angebot prüfen: Höhe, Bonusbedingungen, Fristen, Transfergesellschaft, Geheimhaltungsklauseln, Wettbewerbsverbote.
- Kündigungsfrist abgleichen: Ob der Aufhebungsvertrag die gesetzliche oder vertragliche Frist wahrt.
- Steuer simulieren: Fünftelregelung, voraussichtliches Jahreseinkommen, Splitting bei Ehe, Verschiebung in das Folgejahr prüfen.
- Absicherung planen: Krankenversicherung, Arbeitslosengeld-Antrag, mögliche Sperrzeiten, Zwischenverdienst.
- Markttest starten: Lebenslauf aktualisieren, Profile schärfen, drei Zielpositionen definieren, zwei Bewerbungen pro Woche.
Weiterführende aspekte zur orientierung
Eine Transfergesellschaft zahlt häufig 70 bis 80 prozent des letzten Netto. Das reduziert den Abfindungsdruck, kostet aber Zeit. Wer die Option nutzt, sollte eine konkrete Qualifizierung festhalten, etwa einen zertifikatskurs, damit die Monate zählbar werden.
Bei der Abfindung lohnt der Blick auf den auszahlungszeitpunkt. Eine Verschiebung in den Januar kann die Steuerlast senken, wenn im neuen Jahr weniger Einkommen anfällt. Wer über die 250.000-euro-grenze käme, trifft am Deckel an – jede zusätzliche Betriebszugehörigkeit erhöht dann nicht mehr den Betrag, wohl aber die Verhandlungsposition bei Themen wie Resturlaub, Zeugnis und Freistellung.



Kann jemand bestätigen, ob ein Aufhebungsvertrag hier eine Sperrzeit beim ALG I auslöst? Wenn die gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten wird und ein betrieblicher Grund vorliegt (Standortschließung), sollte es doch keine Sperrzeut geben, oder? Und wie realistisch ist die Fünftelregelung bei Auszahlung in 2026 statt 2025?
„Jetzt unterschreiben und Bonus sichern“ – klingt nach Druckverkauf. Wieso wird Transparenz zu den Berechnungsformeln nicht offen gelegt? Ein Deckel bei 250.000 euro ist okay, aber ohne klare Formel bleibt das Gefühl, dass langjährige Mitarbeitende benachteiligt werden. Betriebsrat, bitte lauter werden!