Mehr Arbeit in weniger Tagen klingt nach Freiheit. Doch hinter der wöchentlichen Obergrenze schlummern Zielkonflikte, harte Zahlen und offene Fragen.
Die Regierung um Bundeskanzler Friedrich Merz will das Arbeitszeitgesetz umbauen: Weg von starren Tageslimits, hin zu einer wöchentlichen Grenze. Medienberichte nennen 48 Stunden pro Woche als Zielmarke. Forschende warnen vor gesundheitlichen Risiken, Arbeitgeber werben mit Flexibilität. Was steckt dahinter – und was heißt das für deinen Alltag?
Was sich konkret ändern könnte
Bislang gilt: acht Stunden täglich, in Ausnahmefällen zehn, gemittelt über einen längeren Zeitraum. Künftig soll die Woche zählen. Eine 48-stunden-grenze würde Arbeitstage erlauben, die je nach Verteilung deutlich über zehn Stunden liegen.
48 stunden pro woche statt starrem tageslimit: laut hsi sind rechnerisch tage bis 12 stunden und 15 minuten möglich.
- Wöchentliche Obergrenze: 48 stunden statt faktisch 40 stunden als Standardorientierung
- Tageslänge: rechnerisch bis 12:15 stunden, wenn die Verteilung innerhalb der Woche passt (HSI-Berechnung)
- Ausgleich: längere tage sollen durch kürzere an anderen tagen innerhalb der woche ausgeglichen werden
- Zielbild: mehr Spielraum für Auftragsspitzen, Schichttausch, Eltern- und Pflegezeiten
- Offen: wie Ruhezeiten, Pausenregeln und Referenzzeiträume genau gefasst werden
Warum die regierung den wechsel will
Union und spd sehen im Wochenmodell einen Hebel gegen den Fachkräftemangel. Die Idee: mehr Menschen könnten arbeiten, wenn sie ihre Stunden flexibler legen – etwa Eltern, pflegende Angehörige oder ältere Beschäftigte. Unternehmen versprechen sich bessere Anpassung an volatile Aufträge, weniger Leerlauf und effizienteren Personaleinsatz.
Flexibler verteilen statt starr begrenzen – die koalition will arbeitsvolumen sichern, obwohl die bevölkerung altert.
Die kritik der forschenden
Gesundheitliche risiken steigen mit der tagesdauer
Das Hugo Sinzheimer Institut (HSI) hält längere tage für riskant. Ab mehr als acht stunden nimmt die Wahrscheinlichkeit für Fehler, Unfälle und Erkrankungen zu. Benannt werden stressbedingte Leiden, Burnout, psychische Erschöpfung sowie ein erhöhtes Risiko für körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Probleme, Schlaganfälle oder Diabetes.
längere tage lassen sich nicht einfach „wegkompensieren“: erholung funktioniert nicht wie eine rechentabelle.
Planbarkeit schlägt schein-flexibilität
Das HSI warnt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessere sich nicht automatisch. Entscheidend sei verlässliche Planbarkeit. Unvorhersehbare lange tage erschweren Kita-Abholzeiten, Pflegefenster und Pendelroutinen. Flexible Wochen mögen für manche passen, für viele entstehen neue Koordinationsprobleme.
Was arbeitgeber anführen
Arbeitgeberverbände wie der verband der bayerischen wirtschaft begrüßen den Vorstoß. Ihr Kernargument: Überlange tage seien unkritisch, wenn an anderen weniger gearbeitet wird. Außerdem sorge das Wochenmodell für betriebliche Stabilität in Hochphasen – Maschinen laufen länger, Teams reagieren schneller, Aufträge werden fristgerecht abgearbeitet.
Wer hat welche vorteile – und wo lauern kosten?
- Unternehmen: bessere Kapazitätssteuerung, weniger teure Leerlaufzeiten, flexiblere Schichtplanung
- Beschäftigte: mehr freie halbtage möglich, gebündelte freie zeitblöcke
- Risiken: höhere ermüdung an langen tagen, schwierige kinderbetreuung, mehr druck zur ständigen verfügbarkeit
Der blick auf die rechtslage
Europaweit gilt eine durchschnittliche 48-stunden-woche über einen Referenzzeitraum. Deutschland hat zusätzlich das strenge Tageslimit von acht stunden etabliert. Das geplante wochenmodell würde sich ans europäische Raster annähern. Heute gelten 11 stunden ruhezeit zwischen zwei Schichten und eine wöchentliche Ruhezeit; ob und wie diese Schutzmechanismen im neuen zuschnitt stehen, ist zentral.
| Regelbereich | Heute | Diskutierte reform |
|---|---|---|
| Obergrenze | 8 stunden täglich, ausnahme 10 | 48 stunden pro woche |
| Tageslänge | maximal 10 stunden | rechnerisch bis 12:15 stunden (HSI) |
| Ausgleich | durchschnitt 8 stunden über längeren zeitraum | ausgleich innerhalb der woche |
| Zielsetzung | arbeitsschutz, planbarkeit | flexibilität, produktivität, arbeitsvolumen sichern |
Was das für dich praktisch bedeuten kann
Dein gehalt ändert sich nicht automatisch. 48 stunden sind eine deckelung, kein zwangsmodell. Ob zuschläge fällig werden, regeln tarif- oder arbeitsvertrag. Klar ist: je länger der einzeltag, desto wichtiger werden Pausen, Erholungswege und verlässliche Dienstpläne. Wer kinder betreut oder Angehörige pflegt, braucht feste Fenster – spontane lange schichten sprengen schnell den alltag.
Beispielwoche mit 48 stunden
- Montag: 12:15 stunden
- Dienstag: 12:15 stunden
- Mittwoch: 12:15 stunden
- Donnerstag: 11:15 stunden
- Freitag: frei
Rein rechnerisch passt das in 48 stunden. Doch die ruhezeiten zwischen den tagen müssen eingehalten werden. Außerdem steigen ermüdung und fehlerquote mit jedem folgetag. Familienlogistik und öffnungszeiten von kitas oder bussen bilden zusätzliche grenzen.
lange tage klingen nach „mehr frei am stück“. der preis dafür ist konzentrierte belastung – körperlich und mental.
Tipps, wie du dich vorbereiten kannst
- Arbeitszeit dokumentieren: halte beginne, pausen, enden sauber fest – das schützt ansprüche
- Tarifvertrag checken: gibt es grenzen, zuschläge, vorankündigungsfristen für lange schichten?
- Betriebsrat einbinden: mitbestimmung bei arbeitszeitmodellen nutzen, belastungsgrenzen definieren
- Gesundheit priorisieren: pausen planen, hydrieren, nachtschichten rotieren, arztchecks im blick behalten
- Familienzeiten sichern: feste abhol- und pflegefenster vertraglich hinterlegen, Vertretungen klären
Wichtige offene punkte für die debatte
Wie lange darf der Referenzzeitraum sein, über den die 48 stunden im schnitt gelten? Welche anzeigefristen müssen arbeitgeber für lange schichten einhalten? Welche branchen bekommen tarifliche sonderwege, und wo bleibt die generelle ruhezeit von 11 stunden? Antworten auf diese fragen entscheiden, ob das modell als chancenbringer oder als risiko empfunden wird.
Mehrwert über die aktuelle lage hinaus
Begriffe, die du kennen solltest: ruhezeit (mindestens 11 stunden zwischen zwei diensten), pausen (ab sechs stunden arbeitszeit zwingend), referenzzeitraum (zeitfenster, über das durchschnittswerte berechnet werden). Diese Parameter formen deinen alltag stärker als die reine wochenzahl.
Rechne einmal durch, wie sich dein pendelweg, kinderbetreuung und schlafrhythmus bei 2–3 langen tagen verändern. Plane alternative routen oder absprachen. Wer körperlich arbeitet, sollte zusätzliche regenerationszeit einplanen. Wer am bildschirm sitzt, braucht mikro-pausen, augenentspannung und bewegung, um fehler durch ermüdung zu vermeiden.



12,25‑Stunden-Tage und trotzdem erholt? Klingt nach „mehr frei“, aber wer holt dann die Kinder ab und wie sollen Bus- und Kita-Zeiten passen?
Wenn ich dafür jeden Freitag frei habe, bin ich dabei! Endlich längere Zeitblöcke fürs berufsbegleitende Studium. Aber bitte mit klaren Vorankündigungsfristen und ohne Druck zur ständigen Verfügbarkeit.